Wenn der Nachbar zum Techniker wird – zu Besuch im RepairCafé Witten

Es beginnt mit einem leisen Klicken, dann Stille. Kein Radiosender, kein vertrauter Klang, nur das matte Glühen eines Displays, das nach wenigen Sekunden erlischt. So fängt für viele eine kleine Alltagskatastrophe an – und für manche auch eine Reise in eine andere Welt: die Welt der Schraubenzieher, der Lötstellen und der Menschen, die sich nicht damit abfinden wollen, Dinge einfach wegzuwerfen.

Ich sitze im Homeoffice, höre Radio – und plötzlich: Funkstille. Jeder Versuch, das Gerät wieder zum Leben zu erwecken, scheitert. Also ab ins Internet. „Hilfe, Radio defekt“, tippe ich in die Suchleiste. Wenige Klicks später stoße ich auf ein RepairCafé – ganz in der Nähe, in Witten-Bommern.

Ein Sonntag zwischen Schraubenziehern und Kaffeetassen

Als ich ankomme, duftet es nach Kaffee und Kuchen. Stimmengewirr erfüllt den Raum, irgendwo klackert ein Akkuschrauber. Auf den Tischen liegen Staubsauger, Verstärker, Handys – das stille Inventar einer Wegwerfgesellschaft, die hier eine zweite Chance bekommt.

„Ich hätte gerne meinen Verstärker repariert“, sagt Ilona Kunz, die mit einem etwas sperrigen, schwarzen Gerät im Warteraum ankommt. „Der ist schon sehr alt, und ehrlich gesagt, ich traue mich gar nicht, damit in ein Geschäft zu gehen.“ Ihre Nachbarin habe sie auf die Idee gebracht. „Ich finde das hier wunderbar. Wo sonst wird einem so geholfen?“

Ein paar Meter weiter steht Christoph Bockhacker, der Initiator des RepairCafés. Er beugt sich über einen Laptop, der gerade zickig ist. „Die Idee stammt ursprünglich aus den Niederlanden“, erklärt er. „Da hat eine Stiftung damit angefangen. Ich fand das sofort genial – Nachbar hilft Nachbar, das ist die Grundidee.“

2017 hat Bockhacker das RepairCafé in Bommern gegründet, nachdem die Gemeinde einen alten Raum renoviert hatte. Elfmal im Jahr trifft sich seitdem eine bunte Truppe aus Tüftlern, Pensionären, Informatikstudenten und Hobbybastlern. „Wir haben so acht, neun Reparateure, manchmal auch zehn. Und manchmal helfen sogar Gäste anderen Gästen“, sagt er und lacht. „Das ist eigentlich das Schönste daran.“

Tim, der Smartphone-Flüsterer

In einer Ecke sitzt Tim Jorczyk, 19 Jahre alt, konzentriert über einem schwarzen Smartphone. Neben ihm blinkt eine kleine Dockingstation, aber das Display bleibt schwarz. „Wir haben versucht, das Bild über die Dockingstation auszugeben – funktioniert leider nicht“, sagt er, ohne aufzuschauen.

Tim ist der jüngste im Team, Student der Informatik im dualen Studium. „Mein Vater macht hier mit, und ich dachte: Ich komm einfach mal mit. Technik ist ja irgendwie mein Ding.“
An diesem Tag kann er das Gerät nicht retten. Doch er gibt nicht auf. „Ich hab jetzt ein Ersatzdisplay bestellt, kein Original, aber das reicht. Beim nächsten Mal bauen wir’s ein.“

Das ist hier normal: Manche Reparaturen dauern zwei Termine. Ersatzteile müssen bestellt, Fehler weiter gesucht werden. „Es ist wie Detektivarbeit“, sagt Tim. „Man muss manchmal Geduld haben.“

Der Staubsauger, der wieder atmet

Zwei Tische weiter beugt sich Klaus, graues Haar, ruhige Hände, über einen Miele-Staubsauger. Der Klassiker unter den Haushaltsgeräten – „läuft nicht mehr“, sagt die Besitzerin knapp.
Klaus öffnet das Gehäuse, schaut, klopft, prüft mit dem Multimeter. Dann ein kurzes Klacken – der Motor summt. „Der Schalter hat geklemmt. Jetzt läuft er wieder“, sagt er und grinst.

Ein kleines Wunder, das hier fast Routine ist. „Die alten Geräte sind solide gebaut. Meistens sind’s nur Kleinigkeiten – Wackelkontakte, Schalter, Kabelbrüche.“

Von Kaffeeautomaten und Kassettendecks

Am Nebentisch kniet Mirko, Schraubendreher in der Hand, vor einem Verstärker. Die Besitzerin, Ilona Kunz, schaut gespannt zu. Erst krächzt Musik aus dem Lautsprecher, dann ein lauter Ton, dann – plötzlich – klare Klänge. „Da war der Balance-Regler korrodiert“, erklärt Mirko. „Kontaktspray, ein bisschen drehen, fertig.“

Kurz darauf liegt eine Brüheinheit eines Kaffeevollautomaten auf dem Tisch. „Bitte nicht erzählen, dass wir die auch reparieren“, sagt Mirko lachend. „Sonst kommen alle mit ihren Kaffeemaschinen.“ Doch auch die läuft am Ende wieder. Eine Kundin strahlt: „Drei Monate kein Kaffee – jetzt geht’s wieder!“

Der Radioretter

Mein eigenes Radio liegt nun vor Wolfgang, einem älteren Herrn mit Schraubendreher und Geduld. Routiniert öffnet er das Gehäuse, prüft Platinen, wischt Staub ab. Nach ein paar Minuten das vertraute Rauschen. Dann ertönt: „WDR 2 – zusammen sind wir der Westen.“

Wolfgang lächelt zufrieden. „Nur Wackelkontakte, kalte Lötstellen – nichts Dramatisches.“
Was die Leute sonst so bringen? „Alles. Vom CD-Player über Kassettendecks bis zum Fernseher. Manchmal auch Staubsauger. Ich repariere, was gerade kommt.“

Mehr als nur Technik – ein Ort der Begegnung

Während die Geräte nach und nach wieder zum Leben erwachen, bleibt Zeit für Gespräche. Kuchen wird serviert, Kaffee nachgeschenkt. Menschen, die sich sonst nie begegnen würden, sitzen nebeneinander, tauschen Tipps, lachen über ihre „Problemkinder“.

Hartmut, einer der Helfer, repariert an diesem Tag Schwibbögen. „Die kommen sonst nur kurz vor Weihnachten. Aber ich hab heute schon mal geübt“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Christoph Bockhacker nickt zufrieden. „Heute waren 16 Leute da, manche bleiben länger, andere gehen gleich wieder. Wichtig ist: Niemand muss allein mit kaputten Dingen dastehen.“

Auf der Webseite www.repaircafe-witten.de stehen die nächsten Termine – und immer wieder kommen neue Gesichter. Manche wegen eines Toasters, andere wegen des Gemeinschaftsgefühls.

Ein Schraubendreher gegen die Wegwerfgesellschaft

Als ich später meinen reparierten Tuner nach Hause trage, denke ich an Wolfgangs ruhige Hände, an Tims Geduld, an den Geruch von Kaffee und Elektronik. Das RepairCafé ist mehr als eine Werkstatt – es ist ein Gegenentwurf zur Wegwerfgesellschaft. Ein Ort, an dem Menschen Dinge, Erinnerungen – und manchmal auch ein Stück Vertrauen in die Technik zurückgewinnen.

Das Radio spielt wieder. Und mit ihm eine kleine Melodie über Hoffnung, Handarbeit und die Kraft des Miteinanders.