Die Wittenerin Ulrike Gilsebach war 25 Jahre lang Rektorin der Harkortschule in Witten-Stockum. Mit einem Autohupkonzert verabschiedeten am letzten Schultag vor den Sommerferien (2.7.) die Schulleiterin ihre Schüler und deren Eltern. Vor der Pandemie wurden bei Abschieden große Feiern in der Sporthalle veranstaltet aber es darf in der Schule immer noch nicht gesungen werden, deshalb gab es einen außergewöhnlichen Abschied vor dem Schulgebäude. Am Dienstag darauf zeichneten wir mit Ulrike Gilsebach einen Podcast und einer Radiosendung auf.
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Ulrike Gilsebach, Sie sagten am letzten Schultag, es fühlt sich irgendwie komisch an. Wie fühlt es sich denn heute an?
Ulrike Gilsebach: Es fühlt sich an, als würde ich auswandern. Weg von alldem was ich lange gewohnt war.
Wenn ich so zurückrechne, sind sie in den Schuldienst gekommen, als Pink Floyd gesungen hat, „Wir brauchen keine Bildung“. War das damals eine ganz andere Schule als heute? Hat sich die Schule in der Zeit richtig gewandelt?
Ulrike Gilsebach: Die Schule hat sich sehr verwandelt, sehr gewandelt. Man muss sich auch immer ändern – in Schule. Letztlich bleibt die Struktur gleich.
Frau Gilsebach, Sie waren 25 Jahre lang Rektorin, davor schon vorher im Schuldienst gewesen, nicht hier in der Harkortschule in Witten-Stockum. Sie können sich sicherlich an ihren letzten Schultag erinnern, das ist ja noch gar nicht so lange her. Können Sie sich auch an ihren ersten Schultag erinnern, als sie quasi in den Lehrdienst eingetreten sind?
Ulrike Gilsebach: Ja, kann ich mich schon. Das war an der Erlenschule, als Lehramtsanwärterin. Alle hatten irgendwie keine Zeit, alle waren freundlich und dann hieße es »geh in die Klasse« und dann stand ich da und dann guckt mich ganz viele Kinderaugen an und da war ich schon sehr aufgeregt, muss ich sagen. Ich weiß nicht, ob die Kinder es auch waren. Glaub‘ ich kaum. Es waren erstes Schuljahr. Dann war aber nach 3 Minuten alles so, als wäre ich immer schon dagewesen.
Wenn ich so an die Schule in den vergangenen Jahren denke, habe ich so das Gefühl, so hätte ich die Schule auch gerne gehabt. Hat sich die Schule in den letzten 40 Jahren verändert?
Ulrike Gilsebach: Sie verändert sich. Sie war damals schon – als ich anfing – auf dem Weg sich zu verändern. Der Lehrer wird immer mehr zum Begleiter. Es war sehr viel Handeln im Unterricht auch angesagt – das habe ich auch so gelernt. Aber es ist zunehmend so, dass die Kinder mehr auch den Inhalt bestimmen und sich im Team selber im Grunde die Arbeitsinhalte erarbeiten. Das hat sich verändert und das liegt sicherlich auch an der Struktur der Gesellschaft, denn das wird von den Kindern später erwartet, dass sie Probleme lösen, dass sie kreativ sind und dass sie dann uns weiterbringen. Das wird ihr jetzt schon in der Schule angebahnt.
Sie haben am letzten Schultag gesagt, ich bin ja hier an diese Schule in Stockum gekommen aber eigentlich bin ich in Annen verwurzelt und dann kam ich nach Stockum. War das so schlimm?
Ulrike Gilsebach: Nein, es war nicht schlimm, aber es war neu. Man glaubt es ja nicht, Annen und Stockum liegen ja nun wirklich nebeneinander – geht ineinander über, wenn man so will. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, früher Annener Berg hoch ist, wie in eine andere Welt reisen. Ich habe auch später noch gesagt, Stockum hat eigentlich nur Zugbrücken um sich herum, nach Witten, nach Annen, nach Dortmund, nach Bochum. Es ist immer viel Feld dazwischen, aber hier zu sein ist eigentlich so – ja, zurück zu kommen, wie ich das kennen von meiner Familie in Ostwestfalen-Lippe – kleine Orte, kleine Ortschaften, Dörfer und so hat sich auch Stockum präsentiert, mit dem Dorfverein, mit den Vereinen, die sehr aktiv waren und die Schule mittendrin und das hat mir sehr gefallen.
Kommen Sie aus OWL?
Ulrike Gilsebach: Nein, ich bin in Witten geboren, hab‘ immer in Witten gelebt aber ich habe Verwandtschaft, die dort lebt und wohnt und da war ich öfter natürlich.
Als Sie vor 25 Jahren nach Witten-Stockum kamen, um Rektorin hier an der Schule zu werden, war die Schule noch bisschen anders. Ich erinnere mich, da war noch eine Bibliothek, die offene Ganztagsschule gab es nicht. Wie haben sie die Schule vorgefunden, als ich hier die Rektorenstelle angenommen haben?
Ulrike Gilsebach: Auf den ersten Blick habe ich gedacht, oh Gott, wo kommst du hin, alles grau und braun. Es ist überhaupt nicht kindlich. Es ist keine Grundschule – war so vom ersten Anblick, weil dann auch diese vielen Bauten da waren. Die Schule – muss man wissen – war noch vierzügig. Es waren noch 360 Schüler auf dieser Schule. Ich sag immer so salopp, ich habe sie heruntergewirtschaftet, wir sind jetzt zweizügig. Der Neubau war ja dann noch nicht fertig. Da wo heute die Mensa ist – für die Ganztag – war nur Rohbau und immer das Wasser kam noch rein und die Bücherei drin. Es sah ganz anders aus.
Die Bücherei haben sie aber vermisst, als die dann wegkam?
Ulrike Gilsebach: Wir haben lange für die Bücherei gekämpft – hier an der Schule – weil es einfach so ein schönes Miteinander war. Die Kinder kamen sehr schnell an die Bücher, aber letztlich hat mich überzeugt das Konzept, das jetzt gefahren wird. Wir haben auch jetzt noch einen sehr engen Draht zur Bücherei, ist zwar nicht mehr im Haus, aber wir bekommen die Kisten. Wir fahren regelmäßig mit den Schülern hin. Das geht schon, aber – ja am Anfang hat schon wehgetan.
Ulrike Griesbach, wir haben über 40 Jahre Schule gesprochen, aber die Schule hat sich – glaube ich – in den letzten eineinhalb Jahren stark verändert. Da ist die Digitalisierung tatsächlich so sehr vorangeschritten wie niemals zuvor. Ist die Schule in Witten und ihre Schule da gut mitgekommen?
Ulrike Gilsebach: Wir sind da sehr gut mitgekommen. Der Start vor 25 Jahren war der, dass es eine heiße Auseinandersetzung gab, ob dieses Teufelszeug von PC – von Rechner – überhaupt in der Schule was zu suchen hat. Dann haben wir sehr schnell Computerräume aufgebaut, Computer im Klassenraum, haben Lernwerkstätten, also haben auch digitale Medien in den Lernprozess mit einbezogen und dann wollten wir schnell weiter mit Tablets etc. und da stagnierte es 2016 etwa. Da wurde das Medienkonzept entwickeln und ging irgendwie nichts vorwärts. Dann kam ein Smartboard aber mehr war nicht. Und jetzt kam Corona und oh Wunder auf einmal hatten wir iPads für die Kinder. Es wurden die Kabel gelegt. Es wurde geguckt, welche digitalen Tafeln soll es jetzt geben. Auch alle Lehrer, ob sie nun wollten oder nicht – einige waren schon sehr weit, andere noch nicht soweit, wie das in der Menschheit so ist – haben sich damit auseinandergesetzt und beim Digitalunterricht ging es ja gar nicht anders, als plötzlich über diese Medien mit den Kindern – auch Zoom-Konferenzen und Ähnliches – zu machen. Das hat insgesamt die Entwicklung nach vorne gebracht und auch dieses »wie bezieht es in den Unterricht ein, wenn es in Präsenz ist« wirklich bereichert. Das ist gut so, denn das ist wichtig und da werden wir wirklich hier in der Schule – die Anderen, ich sag immer noch »wir«, – gut weiterarbeiten können.
Ich hab so im Kopf dieses Bild von den armen Kindern, dann hat in Düsseldorf irgendein_e Bildungsminister_in gesagt, die Schule findet ab Montag nicht statt, dann mussten sie alle Bücher wieder zurück mit nach Hause schleppen – schweren Tornister geschleppt.
Ulrike Gilsebach: Bei uns nicht.
Bei ihm nicht?
Ulrike Gilsebach: Natürlich hatten sie ein paar Bücher, so ist es nicht. Wir haben immer schon sehr viel über Apps gearbeitet und die Kinder bekam ein Wochenplan. Wir hatten schon das Kommunikationssystem mit der Elternschaft über die Schulcloud installiert, d.h. über diesen Weg haben wir ganz schnell immer alle Arbeitspläne und Informationen tätigen können und dann haben die Kinder in der Anton-App, Leseo, und was es alles so gibt, gearbeitet.
Okay aber ist es vielleicht auch eine – ich sag mal – halbwegs positive Entwicklung, wenn die Kinder nur ein Tablett im Rucksack haben und vielleicht ihr Lieblingsbuch, weil ich weiß, dass sie auch noch Papierbücher – denke ich mal – mögen.
Ulrike Gilsebach: Ich mag nicht nur Papierbücher, ich halte es auch für ganz wichtig, dass gerade in der Grundschule noch mit der Hand geschrieben wird, dass wir auch noch mal was haptisches haben, also ein Buch, ein Lehrwerk haben. Pädagogik ist immer schlecht beraten, wenn sie einseitig setzt. Ich selbst bin ein Ganzsatz-Methode-Kind. Damals wurde man nicht alphabetisiert, dann gab es die Mengenlehre – Sie erinnern sich. Das sind alles so Ausreißer der Pädagogik, die gutes Fundament haben, aber nur in Reinkultur nicht funktionieren. Ich glaube es funktioniert auch nicht – zumindest in Grundschule – nur digital zu unterrichten, sondern es muss auch noch die Beziehung da sein, die Interaktion untereinander, mit dem Lehrer und eben auch haptisches und auch mal noch mal mit der Hand schreiben. Das hat auch dann die Wissenschaft erwiesen, dass nur so wirklich Lernprozesse langwierig verinnerlicht werden können.
Aber diese Diskussion »ich ziehe ein Koffer zur Schule hinter mir«, wie ich heute hier mit der Technik, die erledigt sich jetzt oder?
Ulrike Gilsebach: Die erledigt sich ja, also – ich sag mal so – die die Tornister werden leichter werden, auf jeden Fall. Wenn die Ausstattung so ist, dass in der Schule iPads vorhanden sind und Zuhause ist auch noch mal was da, dann ist es gut. Wir sind ja auch schon von den Hausaufgaben weg. Dich also diese Vorstellung, dass dann zu Hause noch was bearbeitet werden muss, wird hoffentlich dann entfallen. Freiwillig was tun ist immer was anderes – Interessen verfolgen. Dann ist das schulische lernen hier am Ort und dann ist dieser Materialkoffer – denn man mitnimmt – egal ob mit Büchern oder mit iPads gefüllt nicht mehr da.
Ein Satz ist mir jetzt in Erinnerung geblieben: »Wir sind von den Hausaufgaben weg.« Ist das eine Ausnahme oder ist das der Standard in Grundschulen?
Ulrike Gilsebach: Das wird zunehmend überall gemacht, weil auch die Chancengleichheit – jedes Kind hat dann die Chance wirklich unter Zuhilfenahme von Lehrern oder Tutoren, älteren Schülern zu lernen. Das ist in der Schule besser zu bewerkstelligen als zu Hause. Dann die vielen Kinder im Ganztag. Das kann man besser steuern und rhythmisieren.
Es ist ja so, dass hierhin Studenten von der Uni kommen und mit den Schülern nach der Schule Sachen aufarbeiten?
Ulrike Gilsebach: Das war auch mal so und noch sind auch Studenten da, die uns unterstützen. Man muss ich das auch mal von Kind aus vorstellen, die haben 6 Stunden Unterricht, werden dann zum Mittagessen gehen – das haben wir jetzt schon verlängert, damit es wirklich eine Pause ist – und dann setzen wir die wieder am Schreibtisch. Dann müssen die wieder das gleiche machen. Das ist nicht Sinn der Übung. Man kann auch vieles wirklich fördern, in dem man es anders macht. Also Mathelernen, z.B. mit Gewichten umgehen, kann man wunderbar, wenn man backt. Einfach abwiegen, gucken welche Mengen muss ich nehmen oder Volumen kann man mit draußen Spiele machen, wie viel passt in ein Eimer Wasser und so weiter und sofort. Man kann auch Buchstaben Spiele draußen machen – Sprachspiele. Das ist dann nicht nur am Schreibtisch sitzen und schreiben, sondern es ist mit anderen Medien lernen und das ist dieses ganzheitliche Lernen – von dem ich sprach. So wird was draus. Wenn ein Kind sagt, wir wollen irgendwie ein Staudamm bauen, hat einen kleinen Bach. Was sieht aber alles lernen und überlegen müssen, kriege ich so an einem Blattpapier mit dem Arbeitsblatt gar nicht hin, weil es so gar nicht die Kinder begeistert.
Wo geht die Reise jetzt noch mal hin? Wenn Sie etwas vorschlagen könnten für die Zukunft der Schule, was würden Sie sagen, das muss besser werden?
Ulrike Gilsebach: Es muss besser werden, dass Kinder in Projekten lernen, dass sie wirklich was sie interessiert lernen – denn das lernen sie auch. Also z.B. Dinosaurier-Namen Auswendiglernen nur die Kinder, die sich für Dinosaurier interessieren. Wenn ich gesamt im Kontext arbeite und dann auch die Kinder wirklich anleite selber sich Fragen zu stellen, jetzt auf dem Acker wo wohnt der Regenwurm, ist eine tolle Frage. Da mal zu gucken, wie funktioniert das mit der Erde oder wie entsteht überhaupt Erde. Das sind Dinge, die sollen Kinder erforschen. Da geben Lehrer und Pädagogen allgemein Hilfestellung. Das ist wichtig und dann sind sie auch später im Leben in der Lage die Probleme, die wir mal haben werden zu lösen, weil sie sagen das ist die Fragestellung, so jetzt muss Lösung her und sie wissen, wie man auf Lösung kommen kann.
Wo ist man schon soweit? Sind die Niederlande oder Finnland schon weiter?
Ulrike Gilsebach: Das kann man pauschal nicht sagen. In Ansätzen auf jeden Fall. Sind auch einzelne Reformschulen schon weiter – auf jeden Fall.
Es gibt ja auch Laborschule in Bielefeld.
Ulrike Gilsebach: Bielefeld, genau. Ja, ich komme aus Bielefeld vom Studium her, also von daher irgendwo hat‘s gefärbt. Ja, da gibt es gute Ansätze. Natürlich auch wirklich das Kind wahrnehmen, dass die Gruppe nicht zu riesig ist, man kann Kinder stapeln in der Klasse – ohne Frage – aber ob was bei rauskommt – das bezweifle ich immer. Ich denke, eine kleine Gruppe, Beziehung zum Lehrer, dann eigene Fragen entwickeln und die versuchen zu lösen durch Unterstützung des Lehrers, das halte ich für das Lernen der Zukunft. Klar, die Basics, dass man lesen können und die Grundrechenarten beherrschen muss, ist klar. Aber alles Weitere, da bräuchten wir gar kein Lehrplan – eigentlich. Ich kannst es jetzt sagen, ich bin nicht mehr im Dienst.
Oh, im Bildungsministerium in Düsseldorf, da wird das – glaube ich anders gesehen – und dieser Wunsch wir vereinheitlichen alles in ganz Deutschland, damit man von einem Bundesland in das andere umziehen kann und alles schön Pisa-technisch vergleichen kann …
Ulrike Gilsebach: Dieses vergleichen ist aber auch ein bisschen Augenwischerei, denn was kann ich vergleichen? Nur das was ich wirklich Auswendiglerne – was ich abfragen kann. Das ist ja nicht das Wissen. Das wissen wir alle selber. Wenn ich zu Hause ein Möbelstück auspacke, muss mir das aufbauen und die Anleitung fehlt, dann muss ich selber gucken, wie baue ich das wohl zusammen.
Das kann ich nicht abfragen und vergleichen, wie gut ist der eine beim Möbel aufbauen, wie gut ist der andere? So ist es auch den Lerninhalten. Was ich auswendig aussagen kann, das 1×1 kein ich abfragen. Das ist kein Problem. Ob jemand auf Lösungswege kommt, sich eine Aufgabe erschließen kann, das kann ich nicht vergleichen. Ich kann höchstens eine Zeit stoppen. Das ist alles.
Ulrike Gilsebach, sie waren 25 Jahre lang Rektorin an der Harkortschule in Witten-Stockum und noch länger im Schuldienst. Ist die Schule nach so vielen Jahren vielleicht auch so bisschen wie das eigene Kind?
Ulrike Gilsebach: Aber sicher! Das ist so wie ein Haus, das mal lange bewohnt. Man kennt jede Ecke, man hat sich überall Gedanken gemacht, wie man es einrichtet, wie man sie nutzt. Es ist in einer Schule noch viel intensiver, weil viele Menschen drin leben. Man hat Erinnerungen, Beziehungen, viele schöne Erlebnisse. Was so eine Schule ausmacht – die Atmosphäre – das ist schon seins irgendwo und deshalb sagte ich am Anfang, ich kommen mir vor wie ein kleiner Auswanderer.
So‘ne Schule ist ein kompliziertes Gebilde. Wenn man als Schüler in die Schule kommt, dann kriegt man das ja gar nicht so mit, dann weiß man nicht, dass das Gebäude der Stadt gehört, dass die Inhalte vom Ministerium für Schule und Bildung aus Düsseldorf kommen, dann gibt es aber noch viele andere Leute, die mitreden, die sie alle irgendwie zufrieden stellen müssen. Wie viele Fronten sind das denn eigentlich, mit den sie dann immer wieder zu tun hatten, an denen Sie kämpften?
Ulrike Gilsebach: Also gezählt habe ich die jetzt gar nicht. Moment, also es ist einmal der Schulträger – die Stadt Witten – der gehört das Gebäude. Da ist es auch so, dass der Hausmeister im Grunde auch weisungsberechtigt von der Stadt sind, d.h. da kann ich immer auch nur gucken, dass man sich gut versteht, da kann ich keine Weisung geben, Sekretärin genauso. Dann ist es natürlich auch die Untere Schulaufsicht, also meine Schulrätin, die direkt meine Chefin ist.
Wo sitzt die?
Ulrike Gilsebach: Die sitzt in Schwelm.
Bei der Kreisverwaltung?
Ulrike Gilsebach: Genau! Aber letztlich ist dann auch immer noch die Bezirksregierung Arnsberg zuständig. Je nachdem worum es geht, ob um Juristik oder um Pädagogik, haben verschiedenen Dezernenten etwas zu sagen. Dann natürlich muss ich mich an die Richtlinien und Lehrpläne halten, die sind vom Ministerium gegeben. Jetzt haben wir noch den Ganztag dabei, da spielt das andere Ministerium also für Jugend und Familie auch noch eine Rolle. Dann sind dort die Träger des Ganztags – auch noch Ansprechpartner der zu berücksichtigen ist. Ja, das sind so die wichtigsten Institutionen mit denen man zu tun hat, und dann natürlich sämtliche Kooperationspartner, die man gerne hat, wie z.B. den Sportverein, die Kirchengemeinde, dann aber auch jetzt haben wir ganz neu mit dem „Annener Berg“ – mit der Bildungsgesellschaft – Kooperationsvertrag abgeschlossen. Es entwickelt sich auch immer noch was. Alle haben Wünsche und Vorstellungen, die müssen aber immer passen zu allen anderen Vorstellungen. Manchmal sagt man, man sitzt zwischen allen Stühlen. Ich sage lieber, man ist ein Jongleur, man muss immer gucken, dass alle Interessen in Bewegung bleiben. weiter sich entwickeln können aber sich nicht gegenseitig behindern und das auch immer auch das Kind im Blick bleibt vor lauter Aktivitäten drum rum.
Man ist ja so ein Baustein – haben sie ja so erzählt – das sind ja ganz viele Leute, die mitreden wollen, aber auch manchmal was richtig zu sagen haben, wie der Schulträger. Gibt es da einen Stein, von dem sie denken, der hätte sich vielleicht mal leichter bewegen müssen? Leichter rollen müssen, um schneller voranzukommen?
Ulrike Gilsebach: Das ist schwer zu sagen, weil das immer mal wieder in irgendwelchen Ecken hackt. Man hat andere Vorstellungen und dann geht es nicht weiter. Es ist unterschiedlich. Es ist immer mal jemand anderes.
Bräuchten Sie als Schulleiter mehr Selbstständigkeit? Das ist ja zwischendurch immer wieder gefordert worden, dass man als Schulleiter mehr bewegen kann – sage ich mal oder vielleicht leichter was bewegen kann. Ist das etwas, was Sie auch unterschreiben würden?
Ulrike Gilsebach: Auf jeden Fall. Man muss nur klar sagen, was genau, in welchem Bereich, an welcher Stellschraube. Als Schulleiter bin ich mein kleiner Jurist, mein kleiner Pädagoge, ich bin hier alles. Wir haben aber als Schulleiter durchaus auch mehr Selbstständigkeit bekommen. Also es war zu Beginn meiner Zeit nicht vorstellbar, dass mein Lehrer selbst einstellt. Das machen wir jetzt. Klar, das letzte Wort hat die Bezirksregierung, aber doch hat man einen großen Mitwirkungsbereich.
Sie haben das Vorschlagsfunktion? Sie schlagen einen Lehrer vor?
Ulrike Gilsebach: Nee, wir führen hier die Einstellungsgespräche durch und der Schulleiter kann sagen, welche Fächer hätte ich gern, welche Person passt ins Team. Es ist ja alles Teamarbeit in der Schule. Es ist ja nichts, dass irgendjemand alleine macht. Das ist schon sehr hilfreich, dass nicht irgendwann gesagt bekommt Frau oder Herr XY, man weiß gar nicht wer da kommt und der passt vielleicht nicht ins Team. Das war früher schon schwieriger und das hat sich positiv verändert.
Frau Gilsebach, wann ist denn Ihr letzter Schultag oder letzter Arbeitstag?
Ulrike Gilsebach: Mein letzter Arbeitstag – offiziell – ist immer wie das Schuljahr endet, nämlich der 31. Juli, also ab 1. August sitze ich wirklich auf dem Sofa. Aber natürlich habe ich jetzt auch Sommerferien – wie alle anderen auch – und in den Sommerferien habe ich mir jetzt sogar meinen Urlaub genommen, der mir zusteht, d.h. ich arbeite nicht mehr wirklich.
Sie haben am letzten Schultag ein Kissensofa von der Vertreterin der Elternpflegschaft zum Abschied erhalten, Sie hätten aber auch ein Vorschlaghammer erhalten können? Sie wollen ihr Zuhause umbauen? Fällt das etwas größer aus?
Ulrike Gilsebach: Also nein, also der Vorschlaghammer das wäre dann doch ein bisschen zu doll geworden, deshalb bin ich auch dankbar über das Sofa. Nein, es sollen so kleine Veränderungen her, also das was man immer so schiebt. Es müsste neu gestrichen werden. Es müssten ein paar Steckdosen verlegt werden. Man will vielleicht andere Gardienen haben, also eine bisschen andere Optik. Die Möbel anders stellen. Vielleicht ein neues Möbelteil dazu? Das alles werde ich jetzt in aller Ruhe angehen, weil jetzt habe ich die Zeit mir das alles in aller Ruhe auszusuchen und voranzutreiben.
Die Schule war Ihr Hobby, aber wenn Sie jetzt so viel Freizeit haben werden, haben Sie schon mal so ausgeguckt, das würde ich gerne machen oder dieses Hobby vielleicht bisschen stärker in den Vordergrund rücken lassen?
Ulrike Gilsebach: Nein, das habe ich nicht zum Schrecken meiner Kinder, die jetzt schon denken, oh Gott was fällt Ihr ein? Ich habe gesagt, das eine abschließen, dann – wie gesagt – dieses auspowern Zuhause. Und dann wird sich – da bin ich sicher – etwas ergeben. Ich hatte Zeit meines Lebens ständig irgendwelche Ehrenämter noch gehabt, so dass ich glaube, irgendetwas wird sich mir etwas bieten.
Oh, jetzt kommen ganz viele Vorschläge, von Vereinen – die alle Sie einstellen wollen. Wir brauchen noch eine engagierte, gut vernetzte – sage ich mal – Rektorin, die uns jetzt mal im Verein hilft. Da bin ich mir sicher.
Sie haben einen Nachfolger für sich gefunden, das ist ein komplizierter Prozess, das lassen wir jetzt mal aus. Dass man einen Rektor ganz schnell findet für eine Grundschule ist das so selbstverständlich? Ich habe manchmal auch gehört da gibt’s Probleme.
Ulrike Gilsebach: Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, weil jeder der sich auf den Weg macht und sagt ja ich werde mich bewerben, ich mach das, ich werde Schulleiter_in, der muss wissen, dass er seinen Kernberuf zwar noch weiter ausgibt – nämlich Lehrer, Pädagoge sein, – dass er aber zugleich eine ganz andere Funktion – nämlich in der Leitungsfunktion – ausführt. Wie ich schon vorhin schon sagte, da muss man auch bisschen Jurist sein, ein bisschen die Formalien kennen und größere Ziele verfolgen, auch mal die eigene nachhinten stellen. Das ist nicht so einfach, wenn man auch nicht so ganz viele Leute im Kollegium unbedingt hat, die genau mitziehen, weil die Interessen da nicht zusammenpassen. Das ist schon schwierig und das muss man gut wissen, ob man das möchte und deshalb ist es schwer jemand zu finden offensichtlich.
Vor 25 Jahren war es bei Ihnen ja eigentlich soweit. Gab es einen Moment, wo sie gedacht haben, was habe ich mir dann angetan, als Lehrer war das einfacher?
Ulrike Gilsebach: Am Anfang auf jeden Fall, das muss ich schon sagen. Ich bin ein bisschen rein gestolpert. Ich bin ein bisschen – nach dem Motto – ich haben schon immer viel gemacht, mache ich das auch mal. Ich habe nicht lange nachgedacht – damals – und als ich dann frisch Schulleiterin war schon schwer. Aber ich hatte das Glück – gute Leute an der Seite – also insofern alles gut gegangen.
Die Familie leidet dann am Anfang so bisschen?
Ulrike Gilsebach: Die haben mir gesagt, sie hätten nicht gelitten, aber sie haben gelitten. Klar, man ist den ganzen Tag in der Schule, meine Kinder waren damals auch noch im schulpflichtigen Alter. Das ist nicht so einfach, dann alles unter einen Hut zu bringen.
Ist eins ihrer Kinder auch Ihnen gefolgt? Haben Sie Kinder, die Lehrer geworden sind?
Ulrike Gilsebach: Ja, tatsächlich und es scheint also nicht abgeschreckt zu haben.
Aber nicht mehr Grundschule?
Ulrike Gilsebach: Nein.
Haben sie vorgewarnt?
Ulrike Gilsebach: Nein, es hat sich ergeben. Nein, einfach die Interessenslage eine andere und daher dann eine Weiterführendeschule.
Wir kommen ja langsam zum Schluss. Ulrike Gilsebach, gibt es auch Wünsche für die Zukunft – ich sag mal zuerst für die Schule?
Ulrike Gilsebach: Ich wünsche eigentlich der Schule, dass sie sich weiter auf diesem Weg macht wirklich dieses Haus des Lernens zu sein, also ein Kind ganzheitlich zu betrachten. Kindern die Möglichkeit zu geben sich in Gänze zu entwickeln und nicht nur dieses Kopfkissen, das natürlich auch wichtig ist, das ist klar.
Über 40 Jahre haben sie Schüler unterrichtet 25 Jahre waren sie Rektorin, haben Sie eigentlich irgendwelche Stars hervorgebracht? Also irgendwelchen Leuten den Anschub gegeben so auf dem Bildungsweg, dass sie heute berühmt sind?
Ulrike Gilsebach: Also das hofft man immer, aber ich bin ja so jemand, der nicht so wirklich so dahinter sitzt und das da verfolgt. Wenn ich das dann schon höre, freue ich mich. Ich hoffe zumindest, dass es mehr Schüler gibt, die sagen es war gut – bei Frau Gilsebach habe ich eine Menge gelernt. Da konnte ich was daraus machen, das war gut, als Schüler die sagen endlich sind wir sie los. Das hofft man natürlich.
Sie sagen, Sie werden manchmal angesprochen und dann waren das so kleine Knirpse und dann sind die so 2 Meter hoch und sagen können Sie sich erinnern?
Ulrike Gilsebach: Genau und das fällt mir schwer, weil Gesichter erkenne ich wohl wieder, aber sein Gesicht verändert sich von jemanden, der mit zehn Jahren von der Grundschule geht und dann irgendwann mit 30 Jahren vor mir steht und sagt »ich bring ihn jetzt mein Kind« – das ist ja auch schon passiert, erinnern Sie sich? Ich war auch mal ihre Schülerin oder ihr Schüler. Dann kann ich das sehr schwer wiedererkennen, dann kommt die Erinnerung aber, wenn ich dann den Namen höre und das ist dann manchmal sehr schön.
Dann hoffe ich, dass sich viele an Ulrike Gilsbach erinnern. Sie in Erinnerung sehr positiv behalten. Ich habe gemerkt, dass sie ja immer wieder hier auch im Stadtteil Gutes getan haben, mitgewirkt haben. Es gab ja hier viele Sachen mit der Beteiligung der Schule. Ich kann mich erinnern, es gab hier sogar in der Schule mal Weihnachtsmärkte. Es lebte ja früher die Schule. Ich wünsche Ihnen auf Ihrem Weg, ich habe gemerkt das ist ja noch nicht so richtig abgesteckt, was da kommt – aber das was Sie sich wünschen, dass es auch in Erfüllung geht.
Ulrike Gilsebach: Ja, vielen Dank, das höre ich gerne. Und ja es war wirklich Leben in der Bude, aber das ist nicht so, als wäre jetzt nichts mehr da. Corona hat uns ein bisschen gestoppt, aber ich glaub schon, dass es hier wieder richtig der Schule als Ort der Mitte in Stockum geben wird.
Frau Gilsebach, vielen Dank!
Ulrike Gilsebach: Danke!